terrains vagues, irgendwo?

terrains vagues, irgendwo?

Die französische Sprache ist so viel poetischer als die deutsche. Nur ein Beispiel: unbebaute Flächen in der Stadt werden auf deutsch ganz platt „Brachflächen“ genannt. Das klingt nach Defizit, verlorener Zeit, Häßlichkeit, Verwahrlosung, nach etwas, um das sogar die gnadenloseste Bauwut einen Bogen macht. (Das Wort „Baulücke“ ist auch nicht viel schöner.)

Im Französichen heißen diese Flächen „Niemandsland“: „terrains vagues“. Unbestimmte Gebiete. Das klingt nach Offenheit, nach unendlichen Nutzungsmöglichkeiten, die nur darauf warten, von findigen Menschen entdeckt zu werden, nach Abenteuer und Freiheit. Jedenfalls gar nicht nach Defizit.

Als ich klein war, galt jede Fläche, auf der kein Haus und kein Auto stand, als Spielplatz und wurde im Laufe des Spiels zu allem möglichen: Prärie, Schützengraben, Geheimgang, fremder Planet, die Möglichkeiten waren unendlich, weil sie noch nicht durch tatsächliche Nutzungen eingegrenzt waren.

Solche Zustände sind natürlich untragbar. Brachflächen sollen gefälligst bebaut, Baulücken gefüllt werden. Die Stadtplanung ist der natürliche Feind der Spontaneität: jeder Ort muß einen Nutzen haben, und gerade in der derzeitigen Stadtentwicklung einen genau definierten Nutzen. der zur Not mit Gewalt durchgesetzt wird. Wenn ein Ort als Wiese geplant ist, hat da kein Trapelpfad zu sein, wenn ein Ort zum Einkaufen gedacht ist, kein Bettler. Mit Sicherheitskräften, Überwachungskameras und Hausrecht wird jede bebaute Fläche gegen Ungeplantes geschützt, und die Bebauung wird zur Front im Kampf der Ordnung gegen das Chaos.

Aber was wird aus dem Verdrängten? Verschwindet es, wenn es keinen Ort mehr zugewiesen kriegt? Lassen die Einkaufszentren die Bettler verschwinden? Werden durch Überwachungskameras und Polizei die Verbrecher weniger? Lassen sich die Konflikte zwischen den vielen verschiedenen Einwohnern einer Stadt durch Verbote besänftigen? Die moderne Stadt ist eine große Verdrängungsleistung. Verdrängt wird alles, was der Ordnung widerspricht, was die Ordnung nicht sehen will. Aber nur, weil es in die Unsichtbarkeit getrieben wird, ist es nicht weg.

Das „terrain vague“ als Ort des (noch) Ungeplanten wird damit zum Symbol des Verdrängten. Aus Sicht der „Guten“ ist es das „Reich des Bösen“. In dieser Welt des Verdrängten, des Unsichtbaren und des Unerwünschten spielt der Comic „terrain Vague“. Aufklärung war nie so gefährlich…

jähling, im Juli 2001