Damit es keine Missverständnisse gibt: Ich nehme die Verhaftung eines Soziologen aufgrund irgendwelcher Begriffe, die er seit Jahren in seiner Forschungsarbeit benutzt, äußerst ernst. Die Begründung für die Verhaftung ist so dünn, dass sie an Willkür grenzt.
Ich möchte mich nicht der Verschwörungstheorie anschließen, nach der diese Verhaftung die kritische Wissenschaft kompromittieren soll. Aber es fällt schon auf, dass die Vorwürfe sich vor allem auf Tätigkeiten beziehen, die ein informierter Beobachter für ganz normale wissenschaftliche Arbeit halten könnte: Texte veröffentlichen, mit anderen Wissenschaftlern sprechen, recherchieren. Zugang zur Unibibliothek haben. Es hat bereits Stimmen in den Universitäten gegeben, die meinten, man solle zu den Themen „Gentrifizierung“ und „Prekarisierung“ erstmal nicht mehr forschen, um sich nicht verdächtig zu machen. Das ist natürlich völliger Unsinn und außerdem gefährlich. Denn erstens isoliert es diejenigen, die sich weiter damit beschäftigen, und zweitens sind es nicht die Begriffe, von denen hier die Gefahr ausgeht, sondern eine Ermittlungspraxis, die ohne Hinterfragen einfach einen Wissenschaftler aufgrund seiner ganz normalen wissenschaftlichen Tätigkeit kriminalisiert. Grundsätzlich kann das mit jedem Begriff innerhalb der Gesellschaftswissenschaften passieren. Da kann man sich genausowenig gegen absichern wie dagegen, dass irgendein Text später mal in einem Bekennerschreiben zitert wird.
Übrigens ist es auch genau deswegen egal, ob Andrej H. (allein das Abkürzen lässt ihn schon wie einen Schwerverbrecher wirken, nicht?) wirklich etwas mit der „militanten gruppe“ zu tun hat: Mit derselben anspruchsvollen kriminalistischen Methode, mit der das BKA auf ihn gekommen ist, hätten die ebensogut mich erwischen können, und ich habe mit Brandanschlägen nun wirklich nichts am Hut. Aber ich habe auch schon Texte zu stadtsoziologischen Themen geschrieben, wahrscheinlich sogar unter Verwendung des Begriffs „Gentrifizierung“ (da! schon wieder!), noch dazu in einem explizit politischen und aktionsorientierten Zusammenhang (city.crime.control). Ich vergesse auch oft mein Handy, was ja, wenn ich das richtig lese, jedes Treffen, das dann stattfindet, erst recht verdächtig macht. Ich habe auch Zugang zu Bibliotheken (wie übrigens jeder, der lesen kann). Und wer weiß, wen ich schon alles getroffen habe.
Inzwischen ist Andrej vorerst gegen Kaution und unter Auflagen freigekommen. Morgen ist der Haftprüfungstermin. Wir dürfen gespannt sein, ob sich der Haftrichter durch so etwas linkes wie Argumente überzeugen lässt. Bis dahin gilt es wohl abzuwarten und vielleicht die eine oder andere Unterschrift zu hinterlassen, nicht zuletzt um die Position der Anwältin zu stärken:
http://freeandrej.net.ms/
http://www.policing-crowds.org/petition.html
(Was die drei anderen Verhafteten angeht: Wenn die tatsächlich beim Versuch erwischt wurden, irgendwas anzustecken, kann man da wohl nicht viel machen. Allerdings ist wohl auch hier die Beweislage eher dünn – eine Zugehörigkeit zur m.g. konnte m.W. nicht nachgewiesen werden. Damit ist aber auch der Haftgrund eher Ansichtssache, weil die Gefährlichkeitseinschätzung nicht von verhinderten Sachbeschädigern ausgeht, sondern von Terroristen.)